Kriegspartei
Seit der Ankündigung der deutschen Bundesregierung (endlich) Schützenpanzer vom Typ Marder in die Ukraine zu liefern, kursieren wieder allenthalben Versatzstücke aus dem Begriffsvokabular des Völkerrechts und des zwischenstaatlichen Kriegsrechts quer durchs Internet und die sozialen Medien, die vornehmlich von Protagonisten einer unheiligen Allianz von Linkspartei und AfD hinausposaunt werden. Dass diese Vereinigungen auffällige wirtschaftlichen Verbindungen nach Moskau haben, kann dabei ebenso Berücksichtigung finden wie die partielle Wahrnehmung von Rechtsverletzungen und der Übernahme variabler einseitiger Rechtfertigungsnarrative.
Nachdem ebenjene Protagonisten zwar häufiger als apokalyptische Untergangspropheten, bislang jedoch nicht als versierte Experten auf dem Gebiet des Völkerrechts hervorgetreten sind, lohnt sich schon deshalb ein genauerer Blick, da auch alle anderen zeitnah prophezeiten Apokalypsen nicht eingetreten sind.
Die Frage nach der Kriegspartei lässt sich in eine juristische und eine faktische/politische Dimension teilen, wobei die juristische Frage relativ schnell und bemerkenswert einfach beantwortet werden kann.
Durch die Lieferung noch so schwerer Waffen wird Deutschland nicht zur Kriegspartei.
Nach heutigem Recht kommt es gemeinhin für die Rechtsstellung als Kriegspartei und die Anwendung des Kriegsrechts „nicht mehr auf den subjektiven Willen der Staaten zum Krieg, sondern ausschließlich auf den objektiven Tatbestand des internationalen bewaffneten Konflikts an. Ein solcher liegt vor, sobald ein Staat gegen einen anderen Staat Waffengewalt einsetzt.“(fn)
Das trifft auf Deutschland nicht zu, denn die bloße Lieferung von Waffen ist keine Anwendung von Waffengewalt durch den Lieferanden.
Begrifflich wird dabei zwischen einer Kriegspartei und einer “Mitkriegspartei” untereschieden. In Betracht käme im Falle Deutschlands allenfalls eine Mitkriegspartei, wenn man unterstellt, dass Deutschland auf Seiten der Ukraine aktiv eingreifen würde, was es aber erkennbar nicht tut. Daher fehlt es an aktiven Handlungen und damit einer direkten Beteiligung an den Kampfhandlungen durch eigene Soldaten oder durch die Zurverfügungstellung eigenen Staatsgebiets, was den Tatbestand einer „(Mit-)Kriegsführung“ darstellt – und was zum Beispiel auf Belarus zutrifft. Belarus könnte daher als zweiter Aggressor ein rechtlich legitimes Ziel für Verteidigungshandlungen darstellen.(fn)
Finanzielle Unterstützung, Logistik und letztlich Waffenlieferungen stellen per se keine Beteiligung am Krieg dar. Wissenschaftlich besteht daher eine bemerkenswerte Einigkeit darin, dass die Frage, ob und wann ein Staat “Mit/Kriegspartei” in Russlands Invasion in der Ukraine wird, an der eigentlichen Problematik vorbeigeht.
Letztlich kann die juristische Frage denn auch dahinstehen, denn die wäre nur dann relevant, wenn sich alle Seiten an die getroffenen Vereinbarungen des Völkerrechts und ihre vertraglichen Verpflichtungen halten würden, was erkennbar jedoch seit geraumer Zeit im Handeln Russlands nicht mehr erkennbar ist. Beginnend mit der pseudohistorischen These Putins, es gäbe gar keine ukrainische Staatlichkeit (die zu sichern man sich im Budapester Memorandum völkerrechtlich ausdrücklich verpflichtet hat), über die zwischenzeitlich offenkundig zutage getretenen Verbrechen an der Zivilbevölkerung zB durch Beschuss von Krankenhäusern, Entbindungsstationen, Bushaltestellen oder Theatern und von Putin selbst eingeräumten gezielten Angriffe auf die zivile Energieversorgung zeigt, dass dem Handeln des Aggressors keine völkerrechtliche Verbindlichkeit und Logik mehr zugrunde liegt.
Kriegspartei oder Mitkriegspartei würde Deutschland dann, wenn der russische Präsident es will. Das bedingt, dass die Frage, ob Deutschland Kriegspartei wird, nicht nach Maßgabe völkerrechtlicher Bestimmungen entschieden wird, sondern ganz alleine durch eine einsame Entscheidung im Kreml.
Russische Politikbeobachter stellen seit Beginn des Krieges fest, dass das Handeln des Kremls seine Logik verloren hat. So schreibt der Meduza-Politikredakteur Andrej Perzew über die Rolle von Politikbeobachtung und Prognose in Zeiten maximaler Ambivalenz. „Putins manisches Verlangen, das Nachbarland zu erobern, hat alle rationalen Argumente übertrumpft. Ukrainische Städte werden bombardiert, nur weil Putin das so will. Und es tut ihm um niemanden leid – weder um Ukrainer noch um Russen. Wonach es ihm danach verlangen wird, wissen wir nicht und können es nicht wissen, und deshalb haben wir – das muss man sich endlich eingestehen – jede Möglichkeit verloren, das Vorgehen des Kreml vorauszusagen. Es folgt keiner Logik mehr, und deshalb fehlt diese auch für unsere Prognosen.“ (fn)
Damit ist die Frage, ob Deutschland Kriegspartei wird, oder schon ist, weil Deutschland jenes tut oder dieses unterlässt, völlig belanglos. Kriegspartei wird Deutschland dadurch, dass Putin es zur Kriegspartei macht. Und deshalb ist es richtig, alles dafür zu tun, Putin zu stoppen.
Last Updated on 10. January 2023 by Lupo
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