Die Last der Freiheit
In knapp vier Wochen sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Nach allem was die Prognosen vorhersagen, werden sie die politische Landschaft in der Bundesrepublik auf den Kopf stellen.
In der Wochentaz führt Ilko-Sascha Kowalczuk die Entwicklung, die zum Aufsteigen der populistischen Bewegungen von AfD und BSW geführt hat, auf einen in Ostdeutschland nicht bewältigten Umgang mit Freiheit zurück. Die Folge sei eine Sehnsucht nach einem autoritären Staat, der homogenisiert und Entscheidungen abnehme. „Im Osten überwiegen Staatsvorstellungen, die an autoritäre Modelle erinnern, an einen starken Staat. Das ist ein grundsätzliches Problem – zumal sich solche Vorstellungen wie ein Virus auch im Westen Europas verbreiten.“ Am Ende droht die „Diktatur der Mehrheit“.
Die Mehrheit aber strebt einen Staat an, der stark und autoritär die Angelegenheiten im Sinne des „gesunden Menschenverstands“ (Lieblingsformulierung von Populisten wie Extremisten jeder Couleur) regelt und allein den Wünschen einer Mehrheit seinen Dienst erweist, verbunden mit der Unterdrückung von Minderheitenpositionen.
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Freiheit oder Tyrannei?
In der NZZ ordnet Andreas Umland den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in eine globale Perspektive ein. Es ist beileibe kein (ost-)europäisches Problem. Vielmehr ist er die Ausprägungen des Moskauer postsowjetischen Imperialismus und nur eine Facette grösserer regressiver Entwicklungen seit dem Ende des 20. Jahrhunderts. Am Ende steht die Frage „Freiheit oder Tyrannei?“
Umland thematisiert die schwache Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf Russlands aggressive Expansion, insbesondere die Annexion ukrainischer Gebiete im Jahr 2022. Während ähnliche Aktionen in der Vergangenheit, wie die von Irak und Serbien, auf starke internationale Gegenreaktionen stießen, blieb die Antwort auf Russlands Grenzrevisionen zurückhaltend. Diese Zurückhaltung hat Russland zu weiterem aggressivem Verhalten ermutigt, einschließlich der Forderung an die Ukraine, mehrere Regionen abzugeben, auch solche, die nicht unter russischer Kontrolle stehen. Das ultimative Ziel Russlands sei die Zerstörung der Ukraine als souveräner Staat und die Auslöschung der ukrainischen Nation.
Parallel dazu verfolgt China expansionistische Bestrebungen im Süd- und Ostchinesischen Meer und bereitet eine mögliche gewaltsame Eingliederung Taiwans vor. Auch Venezuela erhebt territoriale Ansprüche gegenüber Guyana. Der Text deutet an, dass solche revisionistischen Bestrebungen weltweit zunehmen könnten. Russlands Aktionen sind besonders bemerkenswert, da das Land als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates eigentlich die Aufgabe hat, solche Grenzrevisionen zu verhindern. Das aggressive Verhalten Russlands stehe im Widerspruch zu seiner Rolle als Atomwaffenstaat und Mitglied des Nichtverbreitungsvertrags, da es die Ukraine als Nichtkernwaffenstaat bedroht und destabilisiert.
Der russische Angriff auf die Ukraine wird als Teil eines breiteren Neoimperialismus beschrieben, der durch den zunehmenden Autoritarismus in Russland seit der Machtübernahme Putins im Jahr 1999 verstärkt wurde. Putins Kriege, darunter in Tschetschenien und Georgien, wurden von der russischen Bevölkerung unterstützt und dienten zur Festigung seiner Macht.
Ein Teilsieg Moskaus in der Ukraine würde das Völkerrecht, die Weltordnung und internationale Organisationen dauerhaft erschüttern; er könnte anderswo bewaffnete Konflikte oder/und Wettrüsten auslösen. Eine erfolgreiche ukrainische Verteidigung gegen die militärische Expansion Russlands wird dagegen weitreichende positive Auswirkungen auf weltweite Sicherheit, Demokratie und Wohlstand haben.
Ein ukrainischer Sieg würde zu einer Stabilisierung der regelbasierten Uno-Ordnung führen, die sich nach 1945 herausgebildet und mit der Selbstzerstörung des Sowjetblocks und der UdSSR nach 1989 konsolidiert hat. Er würde zudem eine Wiederbelebung internationaler Demokratisierung auslösen, die seit Beginn des 21. Jahrhunderts zum Stillstand gekommen ist und einen neuen Anstoss braucht.
Der russisch-ukrainische Krieg ist kein Randthema. Vielmehr hat er weitreichende globale Auswirkungen, abhängig vom Ausgang des Konflikts. Ein ukrainischer Sieg würde nicht nur die Ukraine und ihre Nachbarn stabilisieren, sondern könnte auch ein Signal für eine weltweite Rückkehr zur Demokratie setzen.
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Geiselnahme
Am Wochenende haben Ukrainer europaweit an die Soldaten und Zivilisten in russischer Gefangenschaft erinnert. Das Massaker von Olenivka, bei dem mehr als 60 Soldaten getötet und zahlreiche schwer verletzt wurden, jährte sich zum 2. Mal.
Der ukrainische Journalist Stanislaw Aseyev und Andreas Umland (noch einmal Umland für heute) haben in einem Artikel auf die Lage der Gefangenen in den sogenannten „Volksrepubliken Luhansk“ und „Donezk“aufmerksam gemacht. Aseyev, der selbst über Monate in Donezk inhaftiert und gefoltert wurde, hat seine Erlebnisse in der „Izoliatsiia“ in seinem Buch „Heller Weg Donezk“ veröffentlicht.
Die beiden Autoren beleuchten in ihrem Beitrag “Prisoners as Political Commodities in the Occupied Areas of the Donbas” die komplexe und oft tragische Situation von Gefangenen in den von Russland unterstützten Separatistengebieten im Donbas. Seit Beginn des Konflikts im Jahr 2014 sind diese Regionen Schauplatz gravierender Menschenrechtsverletzungen geworden, einschließlich der willkürlichen Inhaftierung und Misshandlung von Zivilisten und Soldaten. Die gefangenen Personen werden in diesen Gebieten häufig als “politische Waren” betrachtet.
Dies bedeutet, dass sie für verschiedene politische Zwecke instrumentalisiert werden. Ein zentraler Aspekt ist der Austausch von Gefangenen, der oft als Verhandlungsinstrument genutzt wird. Solche Austausche dienen nicht nur zur Rückführung von Gefangenen in ihre Heimat, sondern werden auch als Propaganda genutzt, um die Stärke und den Einfluss der jeweiligen Seite zu demonstrieren. Die Gefangenen in den besetzten Gebieten des Donbas sind oft schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Sie werden unter oft unmenschlichen Bedingungen festgehalten, die von Überbelegung bis hin zu fehlender medizinischer Versorgung reichen. Berichte deuten auf Folter und andere Misshandlungen hin, die Teil einer systematischen Unterdrückung sind. Diese Zustände werden nicht nur zur Bestrafung und Einschüchterung der Gefangenen genutzt, sondern auch, um Druck auf die ukrainische Regierung und die internationale Gemeinschaft auszuüben.
Mit dem großen Gefangenaustausch von dieser Woche, bei dem unter anderem der Tiergartenmörder gegen eine ganze Reihe russischer „Oppositioneller“ getauscht wurde, haben sich die Annahmen der Autoren eindrucksvoll bestätigt.
Siehe dazu auch den Beitrag über die Kundgebung von vitsche.eV. am 28.07.2024 in Berlin.
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Dem „Warnruf“ von Juri Andruchowytsch von dieser Woche in der FAZ widme ich einen eigenen Post, nämlich hier: “Putin führt es nur aus. Sein Volk bestellt”
Last Updated on 4. August 2024 by Lupo
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