Kurze Weihnachtspause – Gelegenheit die besten Artikel der letzten Tage aus dem „Matter“-Archiv zu holen (Eine gute App als Alternative zu Instapaper und Co).
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Die Zeitenwende bringt nun nach und nach immer mehr Zeitdiagnosen und Standortbestimmungen auf den Büchermarkt. Ulrich Menzel hat im Herbst im Suhrkamp-Verlag sein Essay „Wendepunkte“ veröffentlicht, nun ist auch das Buch des Politologe Veith Selk mit dem Titel „Demokratiedämmerung“ ebendort erschienen. DIE ZEIT widmet dem Buch eine ausführliche düstere Rezension.
„Tatsächlich funkelt für Selk nichts mehr. Für ihn hat sich der klassische Liberalismus ebenso erledigt wie das optimistisch-deliberative Modell der Kritischen Theorie aus Frankfurt am Main. Und die Glaubensartikel, die die radikale Demokratietheorie, zum Beispiel in Person von Chantal Mouffe, unters Volk bringe, seien von einnehmender Schlichtheit und zutiefst widersprüchlich. Alles übertrieben? Im nächsten Jahr wird im Herzland des Westens, in den Vereinigten Staaten, ein neuer Präsident gewählt. Gewinnt Donald Trump ein zweites Mal, dann ist Selks Demokratiedämmerung ein prophetisches Buch: Alles ist sterblich, lernt man, auch die Demokratie.“
DIE ZEIT, „Kein Happy End für die Demokratie“
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Der Economist betrachtet sorgenvoll die wackelnde Unterstützung für die Ukraine in den USA und in Europa vor dem Hintergrund der Blockade im US-Kongress.
„The Europeans on the other hand, have belatedly increased their contributions to Ukraine and, crucially, have promised multi-year support. Collectively they have surpassed America in overall commitments to Ukraine, according to analysis by the Kiel Institute, using data to July 31st (see right-hand chart). But America still provides the largest share of military assistance, and Europeans will fall short of their promise to supply 1m shells by March. There are growing doubts about their ability to meet commitments of financial aid.“
The Economist, „America’s political paralysis is complicating its support for Ukraine“
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Mit dem Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine gingen auch zwei große Exodus-Wellen russischer Bürger einher, die entweder vor einer drohenden Einberufung flohen oder das Land verließen, weil sie mit dem autokratischen Regime Putins nicht mehr zurecht kamen. Die Rede war von Hunderttausenden, die in Serbien, Georgien, Armenien oder Kasachstan gestrandet waren. Nun kehren immer mehr zurück. Die FAZ über Menschen, die zurückkehren, aber vielleicht doch nicht bleiben.
„Auf allen Stationen seiner Emigration, erzählt Dmitrij, sei er nie als Russe abgelehnt, nicht nach seiner Haltung zum Krieg gefragt worden. Nicht einmal von ukrainischen Flüchtlingen, die er in der Türkei traf. Doch nicht nur, dass das Nomadenleben teuer war: Die Einsamkeit in ständig wechselnden Hotels und Ferienwohnungen deprimierte Dmitrij. „Niemand braucht dich. Es ist ein trauriges Leben“, erinnert er sich. Die Moskauer Soziologin Ljubow Borusjak hat in Interviews mit Rückkehrern diese Einsamkeit als einen Hauptrückkehrgrund aus dem Ausland ausgemacht. Hinzu kämen wirtschaftliche Nöte und fehlende berufliche Perspektiven.“
FAZ vom 11.12.23, RÜCKKEHR NACH RUSSLAND
„Du willst weg vom Krieg, aber er holt dich überall ein“
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Noch ein Blick nach Russland: Dort soll im März „gewählt“ werden. Der Bayerische Rundfunk (BR) berichtet in einem Feature über die Wandlungen Putins. So „erfinde sich der russische Präsident nämlich gerade neu als “Anti-Putin” und extremistischer Systemsprenger. Vor der Präsidentschaftswahl im kommenden März sorge Putin absichtlich für eine Verunsicherung seiner Weggefährten und mit dem aggressiven Kampf um “traditionelle Werte” für eine Art “rechtsradikales Archaikum”. Die Kampagne richte sich gegen den Lebensstil in russischen Großstädten und orientiere sich an den Wertvorstellungen der Provinz“. Dort vermutet Putin treue Wähler.
“Verbrechen zu planen ist fast dasselbe wie sie zu begehen. Und wenn man sie von der Spitze des Throns aus begeht, handelt es sich nicht mehr um Verbrechen, sondern um Staatspolitik.”
BR vom 02.12.23, “Es stärkt ihn”: Will Putin ein “rechtsradikales Archaikum”?
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Die EU hat den Ukrainern Mitte Dezember ein Weihnachtsgeschenk beschert, in dem sie die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beschlossen hat. Die FAZ mit einem optimistischen, weil realistischen Blick auf das große Land mit großem Potential: Ein Beitritt der Ukraine wird die EU nicht überfordern.
Volkswirtschaftlich dürfte der Beitritt die EU kaum überfordern. Aktuell würde ihre Wirtschaftsleistung um ein Prozent und die Bevölkerungszahl um 9 Prozent steigen, ähnlich wie zum EU-Beitritt Polens 2004. Der wirtschaftlichen Größe nach sei die Ukraine heute so stark wie Ungarn und Rumänien zum Zeitpunkt ihres EU-Beitritts. Bewertet nach Kriterien des Lebensstandards sei das Land derzeit etwa so weit wie Lettland, Litauen und Rumänien, als sie sich um eine Mitgliedschaft bewarben. (…) Das starke Wachstum in den Jahren vor dem Überfall zeige, „dass die Ukraine die Fähigkeiten hat, nach Ende des Krieges ähnlich rasch aufzuholen wie seinerzeit die neuen Mitglieder im Osten“
FAZ vom 15.12.23, „Der Ukraine-Beitritt ist machbar“
Und damit, während ich diesen Post aus dem Saarland schreibe, alles nicht zu Ukraine-lastig wird, ein paar Töne aus Frankreich zum Abschluss:
Les murs se souviennent-ils de nous?
De nos promesses?
Il m’arrive de me rendre à l’adresse
De notre grand amour
Je passe devant et puis j’espère
Te voir par la fenêtre
Confiant, sourire au coin des lèvres
Et puis je lève la tête
Je vois qu’il y a de la lumièreD’autres que nous
Y passeront leurs nuits d’hiver
Au coin du feu doux
D’autres que nous
Feront l’amour sous ces fenêtres
D’autres que nous
Vivront de longues nuits de fêtes
D’autres que nous
Feront la guerre ou bien peut-être
S’aimeront ils pour toujours?
D’autres comme nous feront pareil
14 boulevard Saint Michel
Last Updated on 26. December 2023 by Lupo
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