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“Revanche”

Lesedauer 3 Minuten

Auf meinem verspätungslastigen Wochenendtrip nach Wien hatte ich diesmal ausreichend Zeit, mir das neue Buch “Revanche” von Michael Thumann zu Gemüte zu führen. Michael Thumann berichtet seit mehr als 25 Jahren aus Russland. Er ist Korrespondent für die Wochenzeitung “DIE ZEIT” und lebt selbst in Moskau. Thumann zeichnet in seinem im C.H. Beck-Verlag erschienen Buch die russische Politik und die mehrfachen Wandlungen des Vladimir Putins in seinen Präsidentenjahren seit dem Jahr 2000 nach, mit denen er mittlerweile, so der Buchtitel “das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat”.

Bedrohlich nach außen, aber auch nach Innen und das ist eigentlich der fesselndste Teil des Buches.

Die Entwicklung Putins vom Modernisierer im Jahre 2000, seine Rede im Deutschen Bundestag, die dann seit 2012 folgende immer schrillere Radikalisierung und seine Agitation gegen den Westen, die Angriffe gegen die Ukraine sind schon vielfach beleuchtet und eingeordnet worden. Auch Putins offenkundigen Lügen und Scheinargumente, flankiert und verbreitet von einem ausgeklügelten Propaganda-Apparat, mit denen er seine Angriffe auf die Nachbarn Russlands zu rechtfertigen sucht, sind vielfach widerlegt worden. Auch Thumann befasst sich mit ihnen und widerlegt Putin auf ein Neues. Die Wandlung zum Nationalisten, den Putin seit 2012 gibt, sei alleine dem Machterhalt geschuldet, schreibt Thumann. “Der neue Nationalismus führt zum Krieg, und die staatliche Stabilisierung auf Biegen und Brechen mündet in die Diktatur. Es gibt keine verträgliche Dosis von autoritärem Nationalismus.” Putin versucht die Zeit zurückzudrehen, den Zerfall der Sowjetunion, von ihm als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts geziehen, ungeschehen zu machen.

Fesselnd an diesem Buch aber sind die zahlreichen persönlichen Eindrücke Thumanns aus Russland im Jahre 2022, seine persönlichen Begegnungen mit Freunden und Bekannten in Moskau und anderswo auf dem “Planeten Putin”, viele davon wollen allerdings mittlerweile anonym bleiben, zu groß ist die Angst vor Repressionen geworden. Thumann gelingt es eindrucksvoll aufzuzeigen, wie brutal der Angriff auf die Ukraine Russland und das Leben in Russland verändert hat. Die russische Anwältin Eismont, die zuletzt die Organisation Memorial vertreten hat, beschreibt das „hybride Lebensgefühl“ vieler Russen: „Man konnte jenseits des Politischen ein gutes Leben haben“ – wenn man Abstand zur Politik hielt.

Das taten viele, gegen Stabilität und Teilhabe am Wohlstand ließen sie Putin gewähren. Den Pakt hat Putin aufgekündigt. In 2022 haben die russischen Behörden auch den letzten Rest der verbliebenen Zivilgesellschaft eingestampft, die letzten kritischen Medien verboten. Den Informationsraum soll nur noch einer beherrschen: Putin.

Wie geht es mit Russland weiter und wohin? Auch diese Frage stellt sich Thumann, der einen neuen eisernen Vorhang herunterfallen sieht. Die Reisefreiheit, welche die Russen seit dem Ende der Sowjetunion genossen haben, ist weg. Viele dürfen nicht mehr ausreisen und die, die es könnten, bekommen keine Schengen-Visa mehr. Aus Russland kommt man nur noch auf teuren Umwegen heraus, nachdem der Luftverkehr eingestellt ist. Der Warenverkehr kommt zum Erliegen, der wissenschaftliche, kulturelle und politische Austausch ist abgerissen.

Kein Führer, schreibt Thumann, hat in der russischen Geschichte Russland von Europa so weitgehend isoliert, wie es Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine 2022 getan hat.

Dass das alles gar nicht mehr „nach Plan“ läuft, dürfte vielen spätestens seit der sogenannten Teilmobilisierung aufgegangen sein. Der trügerische Sommer 2022, in dem man im Gorki Park getanzt hat, während ukrainische Städte bombardiert wurden, ist verflogen. Was jetzt kommt, ist finster.


Michael Thumann: „Revanche“. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat. C.H. Beck Verlag, München 2023. 288 S., Abb., geb., 25,– €.



Posted from Wien, KG Landstraße, Österreich.

Last Updated on 27. December 2023 by Lupo


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