In Frankfurt am Mai wurde am gestrigen Samstag Karl Schlögel der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Die Laudatio bei der Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche hielt die aus der Ukraine stammende Autorin und Publizistin Katja Petrowskaja. Sie erinnerte in ihrer Rede an den Moment, als Karl Schlögel in der Talkshow von Anne Will auftrat und sich entschuldigte, “dass er als Slawist, als Historiker und Fachmann, diesen Krieg nicht vorhergesehen hatte”.

Bewegt, aber sichtbar erschüttert nahm er den Preis entgegen. In seiner Dankesrede beschrieb er den russischen Angriffskrieg als das Ende der europäischen Nachkriegszeit und den Beginn einer „neuen Vorkriegszeit“. Schlögel blickte auf sein eigenes Forscherleben zurück: Er habe die Ukraine lange übersehen, zu sehr fasziniert von der russischen Kultur und überzeugt von der Lernfähigkeit der russischen Gesellschaft. Dass Russland in alte Muster des Stalinismus zurückfallen würde, sei für ihn einst unvorstellbar gewesen. Nun stehe er stellvertretend für eine „friedensverwöhnte Generation“, die begreifen müsse, dass Krieg in Europa wieder Realität ist. Mit dem Krieg wandelte sich auch seine Rolle – vom beobachtenden Historiker, der den Alltag fremder Städte beschrieb, zum warnenden Mahner. Reisen nach Russland sind ihm unmöglich, seine Arbeit über den Raum des Ostens wurde zu einer moralischen Stellungnahme.

In seiner Rede kritisierte er die Langsamkeit Deutschlands, Putins Aggression als das zu erkennen, was sie ist: eine Rückkehr des Bösen. Bewundernd sprach er von den Ukrainern, die „unter tausendfachem Einsatz ihres Lebens“ nicht nur ihr Land, sondern Europas Freiheit verteidigen. Von ihnen, so Schlögel, müsse man lernen, was Mut, Würde und Widerstand bedeuten. Das Paradox seiner Rede: Der Träger eines Friedenspreises mahnt, dass Frieden nur durch Wehrhaftigkeit zu retten ist. Von der Ukraine lernen, sagte er, heiße vielleicht auch „siegen lernen“.
Anlässlich der Preisverleihung ist auch ein neues Buch erschienen, dass eine Auswahl von Schlegels Reden und Essays seit der russischen Großinvasion in der Ukraine von Februar 2022 an zusammenfügt. Das Buch zeugt von Schlögels „Schockerfahrung“ seit der Krim-Annexion und dem Einmarsch im Donbas und die Neujustierung seines Blicks auf Putins Russland.
“Es hat ein neues Kapitel begonnen. Der Weg zu einem neuen Russlandbild führt über die Ukraine, die aufgehört hat, der Hinterhof, die Peripherie, die Provinz Russlands zu sein, und die ins Zentrum Europas gerückt ist.”

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Bevor ich Richard Herzinger erstmals persönlich begegnet bin, waren mir schon seine brillanten Essays und Kolumnen in diversen Tageszeitungen und auf seinen Blog aufgefallen.

In Berlin bin ich ihm mehrfach begegnet, bei der Eröffnungsveranstaltung der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft in Berlin (DUG), habe ihn als Redner auf einer Kundgebung der Georgier in Berlin erlebt und nicht zuletzt hat er unsere Demonstration am Sowjetischen Ehrenmal im Berliner Tiergarten unterstützt, wo er die Namen gefallener ukrainischer Soldaten der Roten Armee verlesen hat, während gegenüber Russen siegestrunken den neuen Mai gefeiert haben. Herziger hat sich den Freiheitskampf in Osteuropa zu Herzen genommen und hat verlässlich für Demokratie und Freiheit Stellung bezogen.

In dieser Woche ist Richard Herzinger überraschend gestorben und (nicht nur) die NZZ hat ihm einen würdigen Nachruf gewidmet.

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