Am 9. Mai feiert Russland den „Tag des Sieges“ – den militärischen Triumph der Sowjetunion über Nazi-Deutschland im Jahr 1945. In Moskau und anderen Städten der ehemaligen Sowjetunion wird der Tag traditionell mit aufwändigen Militärparaden und Gedenkveranstaltungen begangen. Doch was einst als kollektives Erinnern an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Opfer des Krieges begann, hat sich in den letzten Jahren tiefgreifend verändert.
In der kasachischen Hauptstadt Astana etwa, wo die Feierlichkeiten ebenfalls begangen werden, sind nach wie vor Sowjetfahnen zu sehen – ein Symbol, das nicht nur Geschichte, sondern zunehmend auch politische Haltung markiert.

Insbesondere in Russland ist der 9. Mai längst nicht mehr nur Gedenktag, sondern Teil eines nationalistischen Narrativs geworden. Der Slogan „Wir können es wiederholen“ – ursprünglich eine Referenz auf den Sieg über Hitlerdeutschland – ist heute Ausdruck eines aggressiven Imperialismus. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wird zunehmend instrumentalisiert: als Legitimation geopolitischer Ambitionen und als identitätsstiftender Mythos in der russischen Innenpolitik.
Der Journalist Andrey Gurkov beschreibt diesen Wandel in seinem Buch Für Russland ist Europa der Feind eindrücklich: „Die wahren Sieger des 9. Mai faselten nichts von einer Wiederholung des Sturms auf Berlin, denn sie wussten nur zu gut, was Krieg bedeutet“, schreibt Gurkov. Seit der Annexion der Krim 2014, so seine Analyse, hat sich der Ton im Land spürbar verschärft. T-Shirts und Aufkleber mit Sprüchen wie „Die Krim ist unser – als Nächstes Alaska“, „Wir können es wiederholen“ oder „Nach Berlin“ verbreiteten sich – nicht zentral vom Kreml gesteuert, sondern anfangs aus der Bevölkerung heraus entstanden, dann jedoch massiv durch staatliche Propaganda befeuert.

Was früher an das Ende eines verheerenden Krieges erinnern sollte, dient heute zunehmend der ideologischen Mobilisierung. Der 9. Mai ist in Russland längst kein Tag des stillen Gedenkens mehr – sondern ein Symbol politischer Machtprojektion.
Auch im Ausland zeigen sich die Auswirkungen dieser Entwicklung. In Berlin kam es im vergangenen Jahr bei den Gedenkveranstaltungen am 9. Mai zu Spannungen. An den sowjetischen Ehrenmalen im Tiergarten und in Treptow wurden trotz polizeilicher Verbote Russland- und Sowjetfahnen gezeigt. Aktivisten skandierten Parolen wie „Donbas ist Russland“ und feierten offen den Krieg gegen die Ukraine – ein klarer Bruch mit der eigentlichen Intention des Gedenktags. Die Stimmung: Aufgeheizt, aggressiv, zahlreiche Teilnehmer betrunken.
Aus den Erfahrungen des letzten Jahres heraus wird die Bürgerinitiative “Gedenken statt Propaganda” mit mehreren Veranstaltungen an den Gedenkorten Tiergarten und Treptow gegen die russische Vereinnahmung des Gedenktages protestieren und unter anderem auch die Ukraine sichtbar machen.

“Diese Tage sind ein Gedenken an jene, die damals ihr Leben für Frieden und Freiheit geopfert haben. Ziel der Aktionen ist es, der offenen Instrumentalisierung dieser Gedenktage durch den russischen Staat für seine aktuellen politischen Zwecke entgegenzutreten – und zugleich die Erinnerung an ukrainische Opfer damals und heute sichtbar zu machen. Die Initiative kritisiert, dass russische Vertreter regelmäßig versuchen, aus dem Gedenken in Berlin eine Verherrlichung der militärischen Stärke Russlands zu machen. Unter dem Deckmantel der Erinnerung wird dort offen Propaganda für den Angriffskrieg gegen die Ukraine inszeniert – mit Flaggen, Kränzen und Parolen, die imperialistische Narrative feiern, während in der Ukraine täglich Menschen durch russischen Imperialismus sterben.” heißt es dazu in der Pressemitteilung.
„Sie nutzen das Gedenken, um Großrussland und den Angriff auf die Ukraine zu legitimieren. Das muss dieses Jahr gestoppt werden!“, so Henry Lindemeier, Initiator der Gruppe, der seit über zehn Monaten täglich vor dem Russischen Haus in Berlin gegen Russlands Krieg in der Ukraine protestiert.
Der 8. und 9. Mai dürfen nicht von Russland vereinnahmt werden. Auch in Kyjiw, Saporischschja, Charkiw, Mariupol und Sumy wird an diesen Tagen erinnert – in Städten, deren Menschen einst gegen Hitler kämpften und heute Putins Bomben überleben müssen.
Am 8. und 9. Main finden auch in anderen Städten Kundgebungen aus Anlass des Kriegsendes vor 80 Jahren statt – ohne russische Propaganda. So zum Beispiel auch in München und in Hamburg.
Last Updated on 4. May 2025 by Lupo
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