Unter dem Titel „Ukraine im Fokus“ ist der ukrainische Schriftsteller, Philosoph und Journalist Volodymyr Yermonlenko derzeit in Deutschland unterwegs. Neben Köln macht er Station in Bielefeld, Frankfurt, Heidelberg und Tübingen.
Yermolenko wurde 1980 geboren und erwarb seinen Doktortitel in Philosophie an der Universität Paris-Nanterre. Als Experte für politische Philosophie, europäische und ukrainische Kulturgeschichte ist er Autor mehrerer Bücher und zahlreicher Essays. Yermolenko ist zudem Chefredakteur der Plattform UkraineWorld und arbeitet als leitender Analyst bei „Internews Ukraine“. Er kommentiert regelmäßig die politischen Entwicklungen in der Ukraine und Europa und engagiert sich in der internationalen Öffentlichkeitsarbeit zur Lage in der Ukraine, insbesondere im Kontext des russisch-ukrainischen Krieges. Volodymyr Yermolenko ist auch Präsident des ukrainischen PEN-Clubs.
An der Universität Köln sprach er am Freitag Abend über den russischen Imperialismus als Ursache des gegenwärtigen Angriffskrieges und die unterschiedlichen Wahrnehmungen in Ost- und Westeuropa. Die Lage der Intellektuellen und Kulturschaffenden in der Ukraine sei die selbe wie zur Zeit der „Розстріляне відродження,“, der erschossenen Renaissance. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden viele ukrainische Intellektuelle, Schriftsteller, Publizisten und Künstler ermordet, die das kulturelle Leben der kurzzeitig unabhängigen Ukraine in den 1920er Jahren geprägt hatten.
Auch heute, so Yermolenko, hätten sich zahlreiche seiner Freunde freiwillig an die Front gemeldet, einige seien mittlerweile gefallen oder vermisst. Die Geschichte wiederholt sich immer und immer wieder für die Ukraine, sagt Yermolenko, „Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und dann wieder Frühling, wenn Du Glück hast.“ Die Ukraine wird wieder ihrer Zukunft beraubt, Yermolenko spricht von „unserer Zukunft, die amputiert wird“.
Im Westen herrsche eine Vorstellung vom Staat vor, der für seine Bürger sorge, wie ein Elternteil, wie ein Vater. Wenn der Staat aber in einen Krieg gerate, wie die Ukraine, dann sieht man den Staat wie ein Baby, ein Kleinkind, das stirbt, wenn man es verlässt. Viele Ukrainer hätten nach dem 24.02.2024 verstanden, dass ihre jetzige Hauptaufgabe sei, ukrainische Staatsbürger zu sein, die sich um ihr Baby sorgen müßten.
Die Angst, Russland zu provozieren, provoziert Russland
Im Westen habe sich, so Yermolenko, nach dem Ende des zweiten Weltkrieg mit dem Sieg über Nazi-Deutschland die Vorstellung etabliert, das Böse lebe in der Vergangenheit. Auf das Böse in der Gegenwart sei man deshalb nicht mehr vorbereitet. Die Illusion sei entstanden, dass die Zeiten des Kolonialismus vorbei seien, aber für die Ukrainer trifft das nicht zu. „Den russischen Imperialismus hat der Westen übersehen“.
Im Umgang mit dem russischen Imperialismus plädiert Yermolenko für mehr Stärke und Härte gegenüber Russland. Im Westen hat man Angst, dass es für uns schlecht ist, wenn Russland verliert. Ich glaube aber, sagt Yermolenko, dass eine russische Niederlage gut für die Russen ist. In Russland hätten sich wesentliche Reformen immer dann eingestellt, wenn Russland einen Konflikt verloren habe. Wenn Russland einen Konflikt gewinne, führe das regelmäßig zu mehr Autoritarismus. „Die Angst Russland zu provozieren, provoziert Russland“, fasst er zusammen, das Böse muss auf Widerstand stoßen.
Fast drei Stunden sind für die Veranstaltung im Hörsaal XVIII an der Uni Köln eingeplant. Der Saal ist gut besucht, die Veranstaltung wird auf ukrainisch gehalten, es moderiert Ulyana Derkach, übersetzt wird auf Deutsch souverän von Nadja Simon.
Last Updated on 12. October 2024 by Lupo
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