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Nach eineinhalb Jahren Pause geht es wieder in die Ukraine. Die Reisevorbereitungen sind abgeschlossen. Dazu später mehr. Waren bislang Kyiv in der Zentralukraine und Odessa im Süden auf meinem Plan, geht es jetzt zum ersten Mal in den Westen: Nach Lviv (Lemberg).

Vorbereitungen

Lviv hat eine lange und bewegte Geschichte. Die Stadt wurde im 13. Jahrhundert von König Daniel von Galizien gegründet und wurde schnell zu einem wichtigen Handelszentrum in der Region. Im 17. Jahrhundert wurde Lviv von Schweden und später von Russland erobert. Im 19. Jahrhundert wurde die Stadt Teil Österreich-Ungarns und erlebte eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Stadt wurde zu einem wichtigen kulturellen Zentrum, in dem viele bekannte Schriftsteller und Künstler lebten und arbeiteten. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Stadt von russischen Truppen erobert, aber nach dem Krieg wurde sie Teil der Zweiten Polnischen Republik. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt von Nazi-Deutschland besetzt und viele ihrer jüdischen Bewohner wurden ermordet. Nach dem Krieg wurde Lviv Teil der Sowjetunion und blieb es bis zur Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991. Seitdem hat die Stadt eine Renaissance erlebt und ist zu einem wichtigen kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum der Ukraine geworden. Heute ist Lviv bekannt für seine gut erhaltene Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, und seine lebendige Kultur- und Gastronomieszene.

Ich werde in Lviv ein paar Webaktivisten treffen, mit ihnen über die Lage in der Ukraine und ihre Initiativen sprechen. Außerdem freue ich mich auf eine exklusive Stadtführung.

Die Einreise in die Ukraine ist derzeit nur auf dem Landweg möglich, der Luftraum ist geschlossen. Deutsche Staatsbürger brauchen auch wie bisher kein Visum, nur ein gültiger Reisepass ist Voraussetzung. Allerdings sind für die Einreise ein paar obligatorische Krankenversicherungen notwendig, die sowohl Covid-19 Erkrankungen als auch Kriegsschäden abdecken. Die Website visitukraine.today informiert umfassend, was für den Grenzübertritt erforderlich ist. Wie bei den internetaffinen Ukrainern gewohnt, lassen sich die obligatorischen Versicherungen dort auch direkt buchen, sie kosten etwa 2,60€ pro Aufenthaltstag. Eine Warnapp für Luftalarme gehört leider auch zum Must-Have.

Die Anreise

Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine ist der Luftraum für zivile Flugzeuge geschlossen. Der Grenzübertritt ist nur auf dem Landweg möglich. Die westlichen Grenzübergänge zu Polen, Tschechien, Slowakei, Rumänien, Ungarn und Moldau sind hingegen regulär geöffnet. Am Einfachsten schien mir die Anreise über Polen, da man die Flughäfen von Krakau (KRK) und Rzeszov (RZE) von Frankfurt gut erreichen kann. Von dort geht es per Zug weiter über den Grenzübergang Przemysl (Prömsel). Bei der Buchung sollte man allerdings zunächst die buchbaren Züge prüfen und danach den Flug buchen, nicht umgekehrt.

Online aus Deutschland war sowohl über die polnische PKP als auch über die ukrainische Ukrzaliznytsia nur ein Zugpaar buchbar: Der Intercity von Krakau nach Prömsel, der Krakau gegen 19.00 verlässt und gegen 23.00 in Prömsel eintrifft, von dort besteht Anschluss an den Intercity nach Kyiv, der Lviv gegen 2.25 in der Nacht erreicht. Zurück geht es gegen 3.50 in der Frühe, Ankunft in Krakau gegen 9.00 Uhr.

Tatsächlich landete die Lufthansa mit gewohnter Verspätung zumindest am richtigen Flughafen. Vom Gate ist man mit Handgepäck in weniger als 10 Minuten im Taxi. Allerdings gibt es auch eine Zugverbindung zum Bahnhof Kraków Glowny, zumindest für die Rückreise bleibt das mal im Hinterkopf. Der geschäftstüchtige Taxifahrer fragte auch gleich, ob ich weiter müsse und bot spontan an, mich nach Przemysl an die Grenze zu fahren, was etwa zwei Stunden dauern sollte. Nachdem er für die Fahrt vom Flughafen zum Bahnhof schon 35€ aufrief, lehnte ich dankend ab. Am Hauptbahnhof fragte ich am Schalter nach einer früheren Verbindung. Leider war die von mir präferierte Verbindung mit Ankunft um 22.30 in Lviv ausverkauft. Aber im nächsten Zug, der um 20.30 in Przemysl abfährt und um 1.20 in Lviv ankommt, war noch ein Plätzchen frei. Kostenpunkt für die 90 Kilometer im D 36 mit Ziel Odesa waren umgerechnet 11€.

Der Intercity von Krakow nach Przemysl kam wegen schlechten Wetters mit 30 Minuten Verspätung an und fuhr wegen eines Notarzteinsatzes mit weiteren 30 Minuten Verspätung weiter. Die Strecke führt von Krakow über Tarnóv und Rszeszov am Rand der Karpaten entlang zur polnischen Ostgrenze. Um 17.00 soll der verspätete Zug jetzt ankommen. Zeit genug, den Grenzbahnhof in Augenschein zu nehmen.

Außerdem bin ich sehr gespannt in Erfahrung zu bringen, warum ein Zug für eine Strecke von 90km eine Fahrzeit von fast vier Stunden benötigt.

Die Grenze: Przemysl

Mit etwas mehr als einer Stunde Verspätung erreicht der Intercity seinen Endbahnhof Przemysl. Die kleine Stadt im Südosten Polens hat sich in den letzten Jahren als internationaler Verkehrsknotenpunkt im Bahnverkehr entwickelt. Bei der Einfahrt in den Bahnhof kann man die restaurierten Kirchen sehen, der Bahnhof hat ein imposantes Empfangsgebäude.

Die Geschichte der kleinen Stadt reicht bis ins 10. Jahrhundert zurückreicht. Przemysl war ein wichtiger Handelsort und ein bedeutendes Zentrum der Kultur und Wissenschaft im mittelalterlichen Europa. Die Stadt verfügt über viele historische Sehenswürdigkeiten, darunter die Przemysl Burg, die im 16. Jahrhundert erbaut wurde. Diese Burg thronte ursprünglich auf einem Hügel über der Stadt und ist heute ein wichtiges Wahrzeichen. Eine weitere wichtige Sehenswürdigkeit ist die St. Nikolaus-Kathedrale, die im 17. Jahrhundert im Barockstil erbaut wurde. Przemysl ist auch für seine traditionelle polnische Küche bekannt, die viele lokale Spezialitäten wie Pierogi (gefüllte Teigtaschen), Bigos (Sauerkrauteintopf) und Kielbasa (polnische Würstchen) umfasst. Die Stadt hat auch eine lebhafte Kunst- und Kulturszene mit vielen Theater- und Musikaufführungen.

Helferin des UNHCR

Für das alles bleibt natürlich keine Zeit. Die “Non-Schengen”-Züge in die Ukraine werden in einem abgetrennten Bereich auf der Rückseite des Bahnhofes abgefertigt. Dafür gibt es eine kleine Grenzstation, vor der sich bereits eine kleine Schlange gebildet hat. Es wirkt alles ruhig und geordnet, dazwischen laufen Helfer vom UNHCR mit blauer Weste, die sich um Alleinreisende Frauen und Mütter mit kleinen Kindern kümmern. Die meisten Reisenden haben Unmengen von Gepäck bei sich.

Irgendwann öffnet sich dann die Tür zur Grenzabfertigung und es geht recht zügig weiter. Danach steht man wieder auf einem Bahnsteig und kann von dort in den wartenden Zug Richtung Ukraine einsteigen. Von hier starten die D-Züge nach Saporischschja und Odessa und der InterCity-Schnellzug nach Kyiv.

Mein D-Zug mit der Nummer 36 fährt von hier bis nach Odessa ans Schwarze Meer und ist ein Schlafwagenzug.

Der D-Zug nach Odessa ist zum Einsteigen bereit.

Die Ankunft

Der D-Zug sollte eigentlich um 20.28 in Przemysl abfahren, aber irgendwie hatte es niemand eilig. Auch weit nach Abfahrtszeit kamen noch Leute durch die Grenzabfertigung und stiegen in den Zug ein. Der Schlafwagenschaffner unterhielt sich draußen bei einer Zigarette mit seinen Kollegen, alles sehr entspannt. Um kurz nach neun Uhr abends setzte sich der Zug dann in Bewegung.

Ankunft in Lviv.

In der Zwischenzeit hatten sich die Fahrgäste schon häuslich eingerichtet, der Schaffner heizte den Samowar und im Gang roch es aus einigen Abteilen nach Suppe und Abendessen. Langsam zuckelt der Zug dann Richtung Medyka, dem Grenzbahnhof, wo der Zug die Grenze zur Ukraine überquert. Abrupt stellen sich iPhone und Apple-Watch auf die neue Zeitzone ein, dann hält der Zug auch wieder für eine Passkontrolle. Die zieht sich über eine Stunde hin, die Pässe werden eingesammelt, eine gelangweilte Zöllnerin schaut kurz ins Abteil, dann heißt es warten, bis die Pässe wieder zurückgereicht werden. Danach setzt sich der Zug wieder in Bewegung und nimmt nun reichlich Geschwindigkeit auf, Den Bahnhof in Lviv erreicht er trotz der über eine halbe Stunde verspäteten Abfahrt pünktlich auf die Minute.

Der Weg zum Luftschutzkeller – Lviv

Der Bahnhof Lviv ist fast menschenleer, es ist zwanzig Minuten nach eins. Schilder weisen auf den nächst gelegenen Bunker hin. Auch die Stadt ist ausgestorben, nur zwei Taxis warten vor dem Bahnhof. Es herrscht offizielle Ausgangssperre. Kurze Zeit später ist dann auch schon das Hotel erreicht. Der Check-In läuft wie üblich, die Öffnungszeiten des Restaurants, die Frühstückszeiten, der Fitnessraum. Neu allerdings: Unser Luftschutzkeller liegt im Untergeschoss -1. Bei Luftalarm bitte nicht den Aufzug benutzen. Eine angenehme Nachtruhe.

Die Rückreise

Es waren drei aufregende Tage in der Ukraine und Lviv, einer wunderbare Stadt. Die Berichte über die Zeit in Lviv folgen in den nächsten Tagen ausführlich, da ist einiges zu berichten. Aber die vielen Eindrücke wollen noch verarbeitet werden.

Kaffeehaus in Lviv

Ursprünglich sollte ich am Samstag früh um 3:50 wieder zurück Richtung Polen reisen, das hatte ich dann aber schon nach der Ankunft in Lviv nicht mehr ernsthaft vor. Den Lufthansa-Flug von Krakau hatte ich bereits auf den Sonntag umgebucht. Am Freitag Abend bin ich dann nochmal zum Bahnhof in Lviv, um nach einer späteren Verbindung zu fragen, das Internet wies einen Zug gegen 13.20 aus. Aber leider seien alle Züge bis Sonntag komplett ausgebucht, beschied die Dame am Schalter, ich könnte ja am Montag oder Dienstag fahren. Die zahlreichen Busverbindungen fand ich allerdings auch nicht sonderlich komfortabel und vor allem auch nicht so günstig. Letztlich wurde ich bei Bolt fündig: Ein Business Car von Lviv an die Grenze wurde für 1.400 UAH (knapp 35€) angeboten. Der Bus hätte laut Internet 30 USD gekostet.

Auf dem Land: Galizische Impressionen

Der Grenzübergang Medyka (UA-PL) ist auch für Fußgänger passierbar und von Medyka nach Przemysl wird sich auf polnischer Seite sicher ein Taxi finden lassen. Gesagt getan, nach ein paar obligatorischen Lviver Kaffees und einem feinen Croissant ging die Fahrt mit dem bestellten Bolt Car nach Medyka gegen 13.20 los. Etwa eineinhalb Stunden brauchte der Fahrer über die galizischen Landstraßen bis zur Grenze. Bei der Ausfahrt aus Lviv umfuhren wir einen befestigten Checkpoint (natürlich keine Bilder!) und kurz vor der Grenze war ebenfalls eine Kontrollstelle eingerichtet.

Grenzübergang Medyka

Von dort gibt es einen gepflasterten Fußweg zum ukrainischen Grenz- und Zollhäuschen. Dort war fast nichts los, Der Ausreise-Stempel war schnell im Pass und dann ging es weiter zu Fuß zum polnischen Grenzhäuschen. Dort staute sich indes bereits alles, die Schlange „Alle Pässe“ bewegte sich so gut wie gar nicht, diejenige für EU-Bürger nur ganz langsam. Ein polnischer Grenzschützer wirkte als Cerberus und bewachte das Tor. Nachdem ich in der Annahme, alle in dieser Schlange seien EU-Bürger und warteten auf Einlass, etwa 30 Minuten in der Schlange verbracht hatte, kramte ich vorsorglich schonmal meinen Pass aus der Reisetasche. Den sah der Grenzschützer mit seinem geübten Auge, woraufhin mir sofort das Tor geöffnet wurde.

Warteschlange Einreise EU

Jetzt musste man am Grenzhäuschen auf Einlass warten. Insgesamt dauerte die Abfertigung für die EU-Einreise fast eine Stunde. Der Grund ist wohl, dass es keinen grünen Zoll gibt. Jedes Gepäckstück wird mehr oder weniger gründlich inspiziert. Die Zollbeamtin hatte an meinem Rimowa-Trolley kein allzu großes Interesse, nachdem ich bekundet hatte, weder Zigaretten, noch Alkohol zu besitzen, so dass die Prozedur schnell vorüber war. Danach nochmal durch die polnische Passkontrolle und dann war man wieder im Freien.

Und es war eine Stunde früher, wer aus der Tür heraustritt, ist wieder in einer anderen Zeitzone.

Überlandfahrt in der Ukraine Richtung Westgrenze

Für die letzten 15km nach Przemysl fand sich dann auch tatsächlich ein Taxi. Der Pole nahm auch EURO (und davon sogar viel) und etwa 20 Minuten später fuhren wir schon vor dem Bahnhofsgebäude in Przemysl vor. Von dort ging es dann recht unspektakulär zurück nach Krakau.