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Berlin brennt endlich

Lesedauer 3 Minuten

Patriotismus, aus dem französischen kommend, bezeichnet eine besondere Wertschätzung der Traditionen, der kulturellen und historischen Werte und Leistungen des eigenen Volkes. Wer die vergangene Silvesternacht in den sozialen Medien verfolgt hat, ist bei den einschlägigen Berufspatrioten auf eine ganz neue Form des „Patriotismus“ gestoßen: Einen Vulgär-Patriotismus, getragen von einer morbiden Lust am Untergang, an der Zerstörung, um des eigenen politischen Vorteils Willen. Getreu den Worten eines langjährigen AfD-Sprechers „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser“. Man konnte es gar nicht abwarten, dass es endlich zur Gewalteskalation kommt, mit möglichst hohem Schaden für Sachwerte, Leib und Leben. So verbrachten offenbar zahlreiche rechtslastige Accounts auf Twitter die Silvesternacht – wahrscheinlich weil sie zu einer gewöhnlichen Feier nicht eingeladen worden waren.

Jugendliche randalieren in der Silvesternacht auf dem Berliner Reichstag

Das ganze spielt sich dann in den sozialen Medien auch völlig faktenfrei ab, es werden unbelegte und frei erfundene Behauptungen in die Welt posaunt oder die Beiträge gleich ganz gefälscht. Glaubt man zum Beispiel den Äußerungen von Ex-Bild-Mann Julian Reichelt auf seinem Twitter-Kanal, so hat sich seit Beginn der Silvesternacht eine zerstörerische Feuerwalze, gelegt von marodierenden Migrantenbanden, nicht nur durch die deutsche Hauptstadt, sondern durch das ganze Land gefressen und alles in Schutt und Asche gelegt – genau so ,wie man es schon immer vorhergesagt hat. Als Patriot müsste man eigentlich alles dafür tun, damit man nicht Recht hat.

Lage in Berlin völlig eskaliert

Reichelt schrieb – während es zur gleichen Zeit übrigens Drohnen und Raketen auf Odesa, Lwiw und Kharkiv regnete, mit Toten und Verletzten – von einem “importierten Bürgerkrieg” in Deutschland. Schon wenige Stunden nach dem vorläufigen Ende der Silvesternacht vermochte er sogar eine kontrafaktische Bilanz zu behaupten, wonach die „Migrationspolitik unser Land angezündet“ habe. Also hat nicht nur Berlin gebrannt, sondern gleich ganz Deutschland. Kleiner geht’s nicht mehr.

Offenbar passte das alles aber nicht so ganz mit dem verfügbaren Bildmaterial zusammen und so mußte man die eine brennende Mülltonne, die man irgendwo gefunden hatte, gleich zu einem brennenden Auto hochstufen. Mangels verfügbarem marodierendem Mob echauffierte man sich über eine Zahl tanzender Männer auf dem Alexanderplatz, die – man mag es kaum glauben – keinen Wiener Walzer aufs Parkett legten, sondern im Alkoholrausch offenbar versuchten, einen landestypischen Tanz zustande zu bringen. Gefährdet oder geschädigt haben sie offenbar nur die Augen der geifernden Berufspatrioten.

Ob er mit deutschen Frauen, die sich mit Raketen beschießen zufriedener wäre?

Ein bekannter AfD-Mann aus Berlin mit einem sehr slawischen Namen empörte sich, dass man unter den abgefilmten Feiernden keine Deutschen erkennen könne – wobei er für seinen empirisch fragwürdigen Tweet offenbar lediglich den Phänotyp der Abgebildeten heranzog. Waren es Dänen? Ebenso hatte er zu beanstanden, dass auf der Feier, an der er freiwillig wohl niemals teilnehmen würde, keine Frauen anwesend seien. Ob er gegen bauchtanzende Frauen, die Böller auf Polizisten werfen, weniger einzuwenden gehabt hätte? An der Frankfurter Konstablerwache filmte BILD eine Ansammlung junger Männer, die von der Polizei aufgefordert wurden, ein Plateau zu räumen und dem zunächst mit halbstarken Proleten-Posen begegneten und dann, als die Polizeikette auf sie zulief, wie die Hasen wegrannten. Ein Twitterer meinte, darin eine feindliche Übernahme zu erkennen, die im vollen Gange sei. Ob er damit die Migranten oder die Polizei-Hundertschaft meinte, bleibt unklar – Kontext und Fakten? Egal.

Die Polizei in Berlin zeigt sich in einer ersten Bilanz zufrieden. Das Einsatzkonzept sei aufgegangen, mit starker Präsenz sei man schnell an kritischen Orten gewesen, um Ansammlungen auf- und Störer und Straftäter festzunehmen. Insgesamt habe es 300 Festnahmen gegeben, ein Polizeibeamter sei so stark verletzt worden, dass er den Dienst nicht mehr habe fortsetzen können, unter Feuerwehr- und Rettungskräften habe es keine Verletzten gegeben. Das ist alles nicht erfreulich, aber auch kein Kontrollverlust.

Im nächsten Jahr sollte man sich überlegen, ob sich nicht jemand erbarmt und Julian Reichelt zu seiner Silvesterfeier einlädt. Vielleicht bleiben uns seine Tweets dann erspart.



Geschrieben aus Österreich.

Last Updated on 1. Januar 2024 by Lupo


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