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Bilanz eines Wochenendes

Lesedauer 4 Minuten

In der vergangenen Woche wurde noch der 30. Jahrestag der Aufnahme der deutsch-ukrainischen diplomatischen Beziehungen begangen und die deutsche Außenministerin in Kyiv empfangen. Nur wenige Tage später wurde die deutsche Botschafterin ins ukrainische Außenministerium einbestellt, um das Unverständnis der ukrainischen Seite über die jüngsten Vorkommnisse entgegenzunehmen. Zwischen Staaten, die erklärtermaßen freundschaftliche enge Beziehungen unterhalten, ist das ein bedenklicher Vorgang.

Unverständnis darüber, dass die Bundesrepublik die Lieferung von Waffen aus Beständen der estnischen Armee an die Ukraine blockiert, welche die Esten noch von der DDR erhalten haben. Unverständnis auch darüber, dass Deutschland unter Verweis auf seine geschichtliche Verantwortung generell keine Waffen zur Selbstverteidigung liefern möchte. Der Schiffbruch, den der deutsche Vize-Admiral und Chef der deutschen Marine in Indien hingelegt hat, in dem er Putin als Partner präferiert, dem Respekt zu zollen sei und dem an die Krim überlassen hat, hat dann das Fass zum Überlaufen gebracht.

Über das Interview von Markus Söder in der FAZ muss man gar nicht mehr reden. In Kyiv ist man sich gar nicht mehr so sicher, ob man Schönbach über Bord geworfen hat, weil er Unsinn erzählt hat, oder ob man ihn gefeuert hat, weil er ausgeplaudert hat, was sowieso alle denken.

Die Stimmung am Dnipro fasst die European Pravda heute in einem Leitartikel zusammen:

Yet, there is a glimpse of hope. Germany still has the opportunity to overturn its policies relating to Russia’s military aggression against Ukraine effective since the Merkel government.

Berlin’s recent actions have sparked outrage even outside of Ukraine. The route of Britain’s military planes supplying weapons to Ukraine is a vivid illustration. To avoid asking the ally’s permission, the planes circumvented Germany’s airspace – a case of distrust, the importance of which Berlin seems to have once again downplayed.

Germany can change these negative dynamics. The new German coalition government can and must discard its aggressor-supportive policy in principle. 

If Berlin fails to do so, Ukrainian society will make an inevitable conclusion: Vice-Admiral Schönbach was punished for unauthorized disclosure of the government’s real stance, not the shocking content of his remarks.

Germany is Provoking War and Ruins its Future in Ukraine. This Must Stop

In diese Richtung gehen übrigens zu Recht auch zahlreiche Kommentare in deutschen Medien. “Deutschland darf die Ukraine nicht im Stich lassen” fordert Denis Trubetskoy auf n-tv:

Anders als etwa von Markus Söder behauptet, muss dem Kreml klar und im Voraus gesagt werden, welche Sanktionen selbst bei einem kleineren Angriff folgen würden. Dabei muss auch über Schritte nachgedacht werden, die Deutschland selbst schaden könnten. Denn Berlin ist für die aktuelle Situation zumindest mitverantwortlich – und die Ukraine hat diese Unterstützung durch ihren Versuch der Friedenspolitik im Donbass auch verdient.

In Kiew wächst das Unbehagen- Deutschland darf die Ukraine nicht im Stich lassen

Während andere NATO-Partner zumindest symbolische Unterstützung schicken – Spanien verlegt Truppen an die NATO-Ostgrenze, Frankreich, die Niederlande ebenso – wird Deutschland als Totalausfall wahrgenommen, der mit Russland über Nordstream2 noch gute Geschäfte macht.

Dabei riskiert Deutschland nicht nur sein bislang gutes Ansehen in der Ukraine, sondern auch unter den NATO- und EU-Ländern, insbesondere Polen und den baltischen Staaten.

Das deutsche Verhältnis zu Russland charakterisiert die NZZ als von wirtschaftlichen Interessen und einem naiven Pazifismus beeinflusst, aber auch durch „eine sentimentale Verklärung Russlands, die oft von der Erinnerung an Deutschlands historische Schuld geprägt ist. Dass nicht nur Russen, sondern auch Ukrainer und Weissrussen unter Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gelitten haben, wird dabei gerne übersehen.“

Wenn deutsche Politrentner wie Ralf Stegner immer noch propagieren, dass „Wandel durch Annäherung“ immer noch die Devise sei, dann müssten sie auch mal Rechenschaft ablegen, was sich trotz jahrelanger Annäherung denn angesichts Moldawien, Georgien und der Krim-Annexion denn gewandelt hat. Vom Mord im Tiergarten in Berlin, den nach Feststellungen der russische Staat in Auftrag gegeben hat, ganz zu schweigen.

Das desaströse Wochenende sollte dringend Anlass geben, die Osteuropa-Politik auf den Prüfstand zu stellen.

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Last Updated on 24. Januar 2022 by Lupo


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